Zunftordnung der Wollweber

Beim Allendorfer „Wollweberbrief“ von 1627 handelt es sich um einen Zunftbrief. Diese waren im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit ein rechtlich verbindliches Dokument, das von einer landesherrlichen oder städtischen Obrigkeit ausgestellt wurde. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die Gründung und Organisation einer Handwerkszunft zu genehmigen und verbindlich zu regeln. Der Zunftbrief legte die Rechte, Pflichten und Privilegien der Zunftmitglieder fest. Dazu gehörten Regelungen zur Aufnahme neuer Mitglieder, zur Ausbildung von Lehrlingen, zur Qualitätssicherung der Produkte, zur Preisgestaltung sowie zur sozialen Absicherung innerhalb der Bruderschaft.

Zugleich diente der Zunftbrief der wirtschaftlichen Kontrolle: Nur zugelassene Meister  und Mitglieder durften ein bestimmtes Handwerk ausüben. Damit schützte der Brief das Monopol der Zunft gegenüber nicht organisierten Handwerkern. Auch soziale Aspekte wurden geregelt, z. B. die Hilfe für erkrankte oder verarmte Mitglieder.

Darüber hinaus war der Zunftbrief Ausdruck landesherrlicher Autorität. Er stellte sicher, dass die Zunft in das staatliche Verwaltungsgefüge eingebunden blieb und nicht autonom agierte. Oft behielten sich Fürsten oder Stadträte das Recht vor, den Zunftbrief zu verändern oder aufzuheben

Einleitung: Fürstliches Geleit

Von Gottes Gnaden
Wir, Georg, Landgraf zu Hessen, Graf zu Katzenelnbogen, Dietz, Ziegenhain und Nidda, bekennen hiermit öffentlich:

Kommentar:

Einleitung in der damals üblichen, formelhaften Sprache. Landgraf Georg (1605–1661) war ab 1626 Landgraf von Hessen. Solche Zunftbriefe galten als herrschaftliche Genehmigungen, die rechtliche Sicherheit verliehen.

Anlass und Bitte der Zunft

Als wir die fürstliche Regierung in unserem Teil des Fürstentums Hessen übernahmen, fielen auch die Zünfte, Gilden und Innungen unter unsere Aufsicht. Die Meister des Wollweber-Handwerks in unserer Stadt Allendorf an der Lumda trugen uns demütig ihr Anliegen vor: Sie baten, die frühere Ordnung ihrer Zunft, wie sie sie unter unseren Vorfahren den Fürsten Philipp, Ludwig dem Älteren und Ludwig dem Jüngeren erhalten hatten, zu erneuern und zu bestätigen.

Kommentar:

Die Zunft möchte ihre alten Rechte sichern und bittet um offizielle Bestätigung durch den neuen Fürsten. Da Georg I. 1626 verstorben war und sein Sohn die Herrschaft übernahem, musste die Privilegien neu gesichert werden.

§ 1 – Zunftzugehörigkeit

Nur Bürger von Allendorf (oder solche, die es bald werden wollen), dürfen Mitglied der Zunft werden.

Kommentar:

Zunftrechte sind an das Bürgerrecht der Stadt gekoppelt. Damit sichert sich die Stadt auch wirtschaftlich ab.

§ 2 – Herkunft & Berufstreue

Mitglieder müssen ehrlich geboren und fachkundig im Handwerk sein und dürfen kein anderes Handwerk betreiben.

Kommentar:

„Ehrlich geboren“ meint: keine uneheliche Geburt oder unehrenhafte Herkunft. Die Ausschließlichkeit des Berufs schützt die Qualität und verhindert wirtschaftliche Konkurrenz innerhalb eines Mitglieds.

§ 3 – Aufnahmegebühr

Der Eintritt kostet 16 Gulden Frankfurter Währung je zur Hälfte an uns und an die Bruderschaft , plus 1 Ortsgulden in die Armenkasse.

Kommentar:

Die Gebühr zeigt: Die Zunft hatte sowohl fiskalische als auch soziale Funktionen. Der „Ortsgulden“ als Spende an die Armen unterstreicht ihre soziale Verantwortung.

§ 4 – Feuerwehrpflicht

Im Brandfall muss jeder Zunftbruder mit einem ledernen Eimer Hilfe leisten.

Kommentar:

Zünfte hatten öffentliche Pflichten – dazu gehörte traditionell die Beteiligung an der Brandbekämpfung.

§ 5 – Stiftungspflicht

Zwei Viertel Wein sind jährlich dem Handwerk zu stiften.

Kommentar:

Vermutlich handelt es sich um Wein für das Zunftfest oder zur Unterhaltung bei Versammlungen. Eine Art Gemeinschaftsbeitrag.

§ 6 – Tuchprüfung

Zwei gewählte Meister prüfen und siegeln alle Tuche (gute: zwei Siegel, schlechte: eines). Falsche Farben (z.B. „Teufelsfarben“ wie Rot) sind verboten.

Kommentar:

Dabei handelte es sich um ein Qualitätssiegel. Die Allendorfer Tuche mussten von einer bestimmten Güte sein. „Teufelsfarben“ waren verbotene Farbtöne – insbesondere leuchtendes Rot galt teils als sündhaft oder war bestimmten Ständen vorbehalten.

§ 7 – Spinnverbot

Niemand darf Garn spinnen oder spinnen lassen, das weiterverkauft wird, außer im Auftrag der Meister.

Kommentar:

Dies schützt das Monopol der Zunft – auch gegenüber Heimarbeit oder unreglementierter Arbeit durch Frauen oder Verwandte.

§ 8 – Nur für den lokalen Bedarf

Wolle muss zuerst Allendorfer Bürgern angeboten werden. Zuwiderhandlungen werden mit einem Gulden Strafe belegt.

Kommentar:

Ein Mittel zur Kontrolle des lokalen Markts und zur Förderung der städtischen Wirtschaft. Erst wenn es keinen lokalen Bedarf gab, durften die Produkte außerhalb der Stadt angeboten werden.

§ 9 – Handelsbeschränkungen

Nur Zunftmitglieder dürfen Stoffe mischen oder verkaufen – außer zu Jahrmärkten.

Kommentar:

Jahrmärkte wie der Nikelsmarkt waren offen für den überregionalen Handel. Im Alltag durfte aber nur die Zunft tätig sein.

§ 10 – Totenritual

Bei Tod eines Zunftbruders (oder dessen Angehörigen) müssen alle Meister an der Beerdigung teilnehmen; die vier jüngsten Meister tragen den Sarg.

Kommentar:

Die Zunft ist auch eine soziale Gemeinschaft. Der Tod eines Mitglieds wird gemeinsam gewürdigt – ein Ausdruck von Ehre und Zusammenhalt.

§ 11 – Dienstpflicht des Jüngsten

Der zuletzt aufgenommene Meister dient den übrigen wie ein Knecht, bis ein neuer aufgenommen wird.

Kommentar:

Ein Brauch zur Hierarchiebildung. Der „jüngste“ Meister hatte symbolische Dienstpflichten (z. B. Ordnungsdienste, Botengänge).

§ 12 – Teilnahmezwang

Bei Treffen müssen alle erscheinen wer ohne triftigen Grund fernbleibt, zahlt Strafe.

Kommentar:

Zunftversammlungen waren Pflichttermine – ähnlich einer Hauptversammlung. Disziplin war zentral.

§ 13 – Jahresrechnung

hrliche Abrechnung der Zunftgelder gegenüber dem Rentmeister ist Pflicht.

Kommentar:

Ein Rentmeister war ein fürstlicher Finanzbeamter. Die Kontrolle schützt vor Missbrauch und zeigt: Die Zunft steht unter landesherrlicher Aufsicht.

§ 14 – Verwendung der Bußgelder

Von den eingenommenen Bußen dürfen nur bis zu drei Gulden jährlich für geselliges Beisammensein verwendet werden der Rest ist für Notlagen, insbesondere zur Unterstützung armer oder kranker Zunftmitglieder, zu bewahren.

Kommentar:

Zünfte waren auch eine frühe Form von Sozialversicherung. Der Zunftkasten diente als Notfallhilfe für Mitglieder.

§ 15 – Heiratserleichterung

Wer eine Tochter eines Zunftmeisters heiratet und das Handwerk betreibt, muss den halben Zunftanteil zahlen.

Kommentar:

Ein Vorteil für „Heiratskandidaten“ innerhalb der Zunftfamilien – fördert interne Vernetzung und schützt Vermögen.

§ 16 – Regel für Witwen

Wenn ein Zunftmeister stirbt und seine Witwe wieder heiratet, muss der neue Ehemann sofern er das Handwerk betreibt ebenfalls die Hälfte an die Zunft zahlen.

Kommentar:

Auch hier wird familiärer Übergang geregelt – ohne vollständige Neuzulassung, aber mit finanzieller Beteiligung.

Schlussformel

Wir behalten uns ausdrücklich vor, diese Zunftordnung jederzeit zu kürzen, zu erweitern oder aufzuheben.

Gegeben zu Marburg am 17. Mai 1627.
Versiegelt mit unserem fürstlichen Sekretsiegel.

Kommentar:

Die Zunftordnung war kein festgeschriebener Vertrag – sondern ein durch den Fürsten jederzeit widerrufbares Privileg.

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